Katalog / Gruppenausstellung / Kunsthalle Düsseldorf
Misanthropie eines Philanthropen
Von Gregor Jansen
Robert Kraiss zeichnet dekonstruierte Affen mit schönen Augen oder schönen Zähnen; achteckige Elemente oder zwei lesende Clownköpfe mit roter Nase und lustigen Schlappohren vor Schattierungen und anderen Beigaben konstruktiver Weltsicht. Zwei Personen in einem von Gitarre, Axt und allerlei Zierrat umgebenen Herz. Einen Totenkopf-Maler mit allen Klischees bestückt und eckigen Augenhöhlen; eine sich an die schönen Brüste fassende and Venus; ein melancholisch versunkener Roncalliclown hinter All Norhang?). Eine verquaste Gestalt mit lupenartigen Betonungen einzelner Körperpartien; ein Geschenk inmitten einer Rasenlicht und 4en mit Mann. All dies aber ist ein Vorwand für die Abstraktion das Formlose der unstrukturierten Gesten, wie von wahnsinniger Hand verbrochen, wilde Tachismen und frei gefeuerte, hemmungslose Informeln. Seine Bleistifte streiten sich um eine Vorherrschaft oder die Hoheit auf dem Blatt: Idee oder Form, Konzept oder Freiheit, Ordnung und Chaos, Sinn oder Verstand? Die Welt hat sich auf seinen zugestrichelten, wegradierten oder offenen Kompositionen selbst verloren, steht vereinzelt, bisweilen vermint im Zeichenfeld des kruden Unsinns von Mehrsinn. Die Zeichnung ist ein sehr altes, von vielen sogar als Ursprung der Kunst verstandenes Medium, erlangte erst im 16. Jahrhundert als Theorie des Disegno bei den Italienern eine gewisse Autonomie, zu der sich Künstler heute immer noch bekennen dürfen. Vasari beschreibt in der zweiten Ausgabe seiner »Viten« 1560, beim Disegno gehe es nicht nur um eine Idee, sondern auch um deren Umsetzung. Dementsprechend versteht er Disegno als Konkretisierung eines geistigen Entwurfs. Die Bedeutung des Begriffs wechselte vom unentschiedenen »Idee« auf der einen und >Form« aut der anderen Seite hin zu deren Synthese.
Kraiss zeichnet dies als einen Prozeß, der flirrend Weltsicht als Idee und Form verbindet. Es ist ein ironischer Prozeß der spontanen Innenwelt, ein Vexierbild des Unergründlichen, wobei es nicht ohne Belang ist, daß er ausgebildeter Ergotherapeut ist, also geübt im Umgang und Lernen von Fein- und Grobmotorik mit Kindern. Zuviel Bedeutung sollte man dem aber auch nicht beimessen, denn wir sehen schließlich unter anderen Anzeichen bedeutende, und deutlich ausbalancierte (meint: komponierte) Zeichnungen vor uns. Das Spezifische ist - um es irgendwie auf eine Formel zu bringen - ein genialer Dilettantismus, den Robert Kraiss nutzt, um verstörende bis wunderschöne Eruptionen der zum Teil gestörten, aber immer überaus sensibel wahrgenommenen Bilderund Umwelt zu generieren. Aus einer bewußten Negierung der Erwartungshaltung gegenüber der schönen und bildenden Kunst erschließt er sich über das kollektive Gedächtnis den Horizont ohne denselben und bleibt auf der Fläche wie bereits die Surrealisten, allen voran die traumhaften Frottage-Zeichnungen Max Ernsts oder der Histoire naturelle (1926). In Gemälden wäre das nie denkbar (Idee), geschweige denn sichtbar (Form).
Das Vor und Zurück des Prozesses ist wie ein Flimmern der Erkenntnis und die heitere Melancholie der Figuration bei Kraiss eine der Welt zugeneigte Akzeptanz des Saturnikers. Dies wußte schon Dürer und stach sie in ein vieldeutiges Gerümpel; die alles vernichtende Formlosigkeit der entropischen Faszination als Wissen um das Ende allen Ursprungs wußte schon Wols, und erklärte seinem Hund die Bilder. Misanthrop und Philanthrop sind somit in den Zeichnungen des Robert Kraiss auf gar abstrus bis wundersame Weise glücklich vereint. Und wenn diese dann noch aus großer Höhe herab betrachtet werden können (wie beim Akademierundgang 2005), stellt sich sogar eine ganz andere, ungeahnte Form von Genuß ein: eine räumlich präsente Größe.